Pustertaler Verkehrspolitik konkret

eine Grüne Exkursion
Mühlbach-Vintl, 11.10.2008

Zur Fortbewegung setzen wir ein innovatives und hocheffizientes Verkehrsmittel ein, das mittels Biotreibstoffen angetrieben wird. Klimaschonend und gesundheitsfördernd. Dieses Verkehrsmittel ermöglicht eine optimale Wahrnehmung der Umgebung inklusive Details, die den Nutzern anderer Verkehrsmittel verborgen bleiben.
Kurz, wir gehen zu Fuß.

Bahnhof Mühlbach

Wie man aus einer heruntergekommenen Haltestelle einen modernen Regionalbahnhof macht (und warum das nicht schon vor 20 Jahren geschehen ist)
Bahnhof Mühlbach

Der erste der neuen Triebwagen ("FLIRT") im Bahnhof Mühlbach, 28.08.2008

Wer sich schon in den frühen Achtzigern trotz mehr als dürftiger Verbindungen mit der Pustertaler Bahn bewegt hat, hat diesen Bahnhof vielleicht noch als Blumenparadies in Erinnerung. Mit der Elektrifizierung der Bahn in den Jahren 1984-1989, dem Abzug des Personals und dem Bau der Umfahrung unter dem Bahnhofsgelände hindurch war die Idylle vorbei. Eine Sanierung der Bahnsteige und Erneuerung der Beschilderung wurde damals „vergessen“, die ersten Jahre nach der Elektrifizierung wurde der Bahnhof überhaupt nicht mehr bedient, später wieder als Bedarfshaltestelle geöffnet. Mittlerweile halten wieder fast alle Züge hier.
Jetzt ist aber Bewegung in die Pustertaler Bahn gekommen: Mühlbach und Ehrenburg sind die ersten beiden Bahnhöfe, deren Anlagen totalsaniert wurden und sie präsentieren sich heute als moderne Regionalbahnhöfe mit erhöhten Bahnsteigen, Bahnsteigüberdachungen, Parkplätzen und Radabstellplätzen. Neue Triebwagen sind am Anrollen, ab Dezember 2008 wird im Ab­schnitt Bruneck-Franzensfeste im Halbstundentakt gefahren. Wenn nun noch die Riggertalschleife gebaut wird, wird das untere Pustertal endlich auch eine von den Fahrtzeiten her attraktive Anbindung an Brixen und Bozen erhalten.
Kurz, es wird jetzt umgesetzt, was Umweltschützer und Grüne schon seit Jahrzehnten verlangen und wofür sie vor nicht allzu langer Zeit noch eher belächelt wurden. Offensichtlich hat man auch in der Landesregierung endlich erkannt, dass eine moderne Regionalbahn eine unverzichtbare Infrastruktur für das Leben und Wirtschaften in unserem Land ist. Bis wir aber zu einer wirklich konsequenten und ausgewogenen Mobilitätspolitik gelangen, ist es noch ein weiter Weg.

ein Zitat:
„Im Zuge der Verwirklichung eines integrierten Verkehrsnetzes für Südtirol soll der Fahrplan der Bahn weiter verdichtet und das Busnetz umstrukturiert und ausgebaut werden (…). Eine Wiedereröffnung geschlossener Bahnhöfe (…) sollte im Zuge einer Neukonzeption des Lokalverkehrs überlegt werden. Die lokalen Busdienste müssen auch die jeweiligen Bahnhöfe bedienen. Ziel ist der Verkehr der Bahnlinie im Stundentakt mit genau koordinierten Anschlüssen an den Umsteigepunkten Bus-Bahn. Vorbedingung zur Einführung des Taktfahrplans ist allerdings die Systematisierung der Bahnfahrpläne in ganz Südtirol und eine Optimierung der Anschlüsse in Bozen und Franzensfeste in alle Richtungen (landesweiter integrierter Taktfahrplan). (…) Die aktive, auch finanzielle Beteiligung des Landes würde auch weitere Ausbauschritte ermöglichen: Errichtung einer Süd­anbindung an die Brennerbahn (Direktverbindung Bruneck-Brixen ohne Wendemanöver in Franzensfeste). Das würde eine Reduzierung der Fahrtzeit Bruneck-Bozen auf unter eine Stunde ermöglichen; somit wäre die Bahn endgültig konkurrenzfähig, (…). Ausbau der Bahnhöfe, Schaffung von genügend Parkplätzen (…). Der Bahnhof Bruneck soll Knotenpunkt für alle lokalen Buslinien werden, was größere Ausbaumaßnahmen erfordert. Zur Neugestaltung des Bahnhofsgeländes sollten jetzt schon Überlegungen getroffen werden in Zusammenarbeit zwischen Staatsbahnen, Landes- und Gemeindeverwaltung. Eine umwelt- und sozialverträgliche Entwicklung des Pustertales hängt in wesentlicher Weise von der jetzigen und künftigen Verkehrspolitik in unserem Land ab. Deren wesentlicher Bestandteil muss eine entscheidende Aufwertung und Förderung des öffentlichen Verkehrs sein, anstelle von größenwahnsinnigen Straßenbauten, die unsere Lebens- und Wirtschaftsgrundlagen bedrohen und mit wesentlich höheren Kosten verbunden sind.“ ( „Promemoria zur Pustertalbahn“ der ARGENUP, 4.4.1991, HP Niederkofler).

Mühlbacher Klause

Wie man ein Stück Tal fachgerecht verwüstet (und 15 Jahre braucht, eine nicht lebensgefährliche Ausfahrt zu bauen).
muehlbacherklause

Postkartenmotiv...

Die Umfahrung Mühlbach war nach der Südumfahrung Bruneck (eröffnet 1988) die zweite Großumfahrung im Pustertal und wurde noch von der ANAS projektiert und realisiert. Das Land beteiligte sich mit einem Drittel der Kosten, obwohl es seinerzeit für die Staatsstraßen nicht zuständig war. Dieses Bauwerk ist ein Musterbeispiel einer überdimensionierten und landschaftszertörenden Straße. Die Ortsdurchfahrt von Mühlbach, die sicherlich eine Entlastung nötig hatte, misst ca. 750 Meter. Die Umfahrung misst 3 1/2 km, der gesamte Abschnitt nördlich des Bahnhofs bis zur Mühlbacher Klause und dem Klärwerk ist eine überflüssige Neutrassierung, die einen ganzen Talabschnitt verwüstet hat. Die Mühlbacher Klause wurde inzwischen schön saniert, aber wenn man den Blick Richtung Stausee wendet, könnte einem übel werden, wenn man weiß, wie es hier vorher aussah.
Die ARGENUP (Arbeitsgemeinschaft für Natur- und Umweltschutz Pustertal) hat, wie schon vorher bei der Brunecker Südumfahrung, ein Alternativprojekt vorgelegt, das nur das Dorf umfahren hätte und weniger gekostet hätte als die Kostenbeteiligung des Landes am ANAS-Projekt. Es wurde in einer öffentlichen Versammlung in Mühlbach präsentiert. Fazit des Abends: „Das Projekt ist vielleicht nicht ganz optimal, aber wir bauen das jetzt. Aber über die nächsten Umfahrungen können wir reden.“ War leider nicht der Fall, auch Welsberg und Niederdorf sind keine Umfahrungen geworden, sondern kilometerlange Neutrassierungen.
Die Umfahrung Mühlbach wurde 1994 eröffnet. Die Ostausfahrt wurde „vorläufig“ nicht gebaut, obwohl z. B. die Bahnunterführung schon vorbereitet war. Seit 14 Jahren muss man nun, wenn man von Mühlbach Richtung Bruneck fährt, niveaugleich links in diese überbreite Rennstrecke einbiegen. Dabei wurde bei der genannten Veranstaltung von den Projektbefürwortern besonders die Wichtigkeit von kreuzungsfreien Ein- und Ausfahrten betont. Vor ein paar Wochen haben nun die Arbeiten zur Fertigstellung der Ausfahrt begonnen. So viel zur Priorität der Verkehrssicherheit.

Radweg Mühlbach-Vintl

Wie schön das Pustertal doch sein kann (wenn gerade kein Bagger in der Nähe ist)
radweg_muehlbach-vintl

Ein Verkehrsweg für Menschen

Die Südseite ist die ruhige Seite des Pustertals. Hier verläuft der Fluss, die Bahn und der Pustertaler Radweg. Die Straße verläuft sonnseitig, wo auch die Ortschaften liegen. Es wäre eine weise Entscheidung gewesen, von vornherein festzulegen, dass die Südseite des Tals in Ruhe zu lassen ist. Stattdessen verlaufen alle bisherigen Umfahrungen südseitig, was zu überlangen Neutrassierungen und zur Zerstörung von Ruhe- und Erholungsgebieten geführt hat. Das Resultat ist, dass es jetzt über weite Abschnitte zwei parallele Straßen gibt und das ganze Tal verlärmt wird.

Niedervintl

Wie man eine Umfahrung durchboxt, obwohl das Dorf dagegen ist
niedervintl

Hier wird die Unterführung der Bahnlinie vorbereitet. Ursprünglich war hier sogar eine Brücke über die Bahn vorgesehen.

Die Präsentation des Umfahrungsprojektes im Jänner 2004 stieß in Niedervintl auf wenig Begeisterung. Verlauf südlich des Bahnhofs, Überführung der Bahn, Rienzverlegung. Ein gewaltiger Aufwand und für Niedervintl die Aussicht darauf, vom Dorf aus statt auf Felder auf die neue Straße blicken zu dürfen und noch mehr Lärm zu bekommen. In einer Unterschriftensammlung sprach sich die absolute Mehrheit der Wahlberechtigten in Niedervintl gegen das Projekt aus. Die Gemeinde ließ von Vintler Technikern ein Alternativprojekt ausarbeiten, das mit einem kurzen Unterflurabschnitt unter der derzeitigen Straße im Bereich des Bahnhofs auskommt, das Wohngebiet effektiv entlastet und die Rienz in Ruhe lässt. Die Bürgerversammlung, bei der dieses Projekt hätte präsentiert werden sollen, wurde dann aber vom Bautenlandesrat und seinen Technikern „gestürmt“ und es wurde ein Projekt vorgestellt, das eine (technisch schwierige) Unterführung der Bahn statt einer Überführung und ein paar Lärmschutzmaßnahmen vorsieht. Außerdem wurde in Aussicht gestellt, irgendwann die Pfunderer Straße mittels Tunnel anzuschließen. Gemeinde und Bevölkerung erhielten die Erlaubnis, diesem „neuen“ Projekt zuzustimmen. Ein Lehrbeispiel dafür, wie Bürgerbeteiligung bei Straßenprojekten in Südtirol abläuft. Alternativen werden gar nicht erst in Betracht gezogen, stattdessen wird bei den Gemeindeverwaltern „Überzeugungsarbeit“ geleistet und diese dürfen dann ihren Bürgerinnen und Bürgern erklären, warum das Projekt des Landes doch das Bestmögliche ist.

Vintl Industriezone

Wie man ein Dorf kaputtmacht, indem man den Handel auf einen Parkplatz in der Pampa verlegt. Wie man weiters einen Fluss verlegt, damit es den Fischen besser geht (und man nebenbei noch Platz für eine neue, schnelle Straße hat).
verlegterienz

Hier verlief einmal die Rienz. Jetzt jede Menge Platz für eine "zeitgemäße Straße", wie man solche Raserstrecken zu umschreiben pflegt.

Die Industriezone Vintl ist ein Musterbeispiel für urbanistische Fehlentwicklung. Schon die Tatsache, dass man nicht in der Lage war, von vornherein die Zufahrten zur Staatsstraße zu bündeln und alle paar Meter eine Ausfahrt direkt in die Pustertaler Straße genehmigt hat, belegt, dass niemand je überlegt hat, was hier eigentlich entstehen soll. Jetzt heißt es, es gibt zu viele Kreuzungen und es braucht deshalb eine neue Straße. Leider reicht aber auf der Südseite der Platz dafür nicht. Deshalb kommt man auf die Idee, den Fluss zu verlegen. Dumm nur, dass das Wasserschutzgesetz des Landes willkürliche Flussverlegungen verbietet:
Landesgesetz 8/2002, Art. 48, Absatz 1: „Oberflächengewässer dürfen nur verbaut oder deren Lauf korrigiert werden, wenn es die Sicherheit des Menschen oder der Schutz von Gütern und Bauwerken von erheblichem Wert und von Infrastrukturen erfordert oder der Zustand eines bereits verbauten oder korrigierten Gewässers dadurch verbessert werden kann. Dabei muss der natürliche Verlauf des Gewässers möglichst beibehalten oder wieder hergestellt werden.“
Eine Flussverlegung ist nur zulässig, wenn sie zum Schutz einer bestehenden Infrastruktur notwendig ist – sicher nicht, um Platz für eine neue Infrastruktur zu schaffen. Aber eine Überprüfung der rechtlichen Möglichkeiten hat ergeben, dass man praktisch nichts dagegen unternehmen kann, wenn das Land seine eigenen Gesetze nicht einhält, bzw. ad absurdum interpretiert. Die Bagger sind also aufgefahren, haben die Rienz noch weiter von ihrem natürlichen Lauf weg verlegt, die Fischer waren anfangs aufgebracht und danach recht schnell doch zufrieden mit der Lösung. Das Ganze wurde dann auch noch als ökologische Verbesserung verkauft. Als ob man einen Fluss verlegen müsste, um Renaturierungsmaßnahmen durchführen zu können.
Eine Neutrassierung der Straße entlang der Industriezone Vintl ist schlicht und einfach überflüssig. Eine Bündelung der Zufahrten auf maximal zwei Kreuzungen wäre auch ohne Rienzverlegung möglich gewesen. Jetzt soll es hier eben bald eine Straße vorne und eine Straße hinten geben.
Da man in der Industriezone Vintl offensichtlich Probleme mit der Verwendung der ganzen sinnlosen Kubatur hatte, die hier in den letzten Jahren entstanden ist, ist man auf die Idee gekommen, hier statt Produktion Handel und Dienstleistungen anzusiedeln. Die Bevölkerung von Niedervintl darf jetzt also zum Einkaufen auf einen Parkplatz außerhalb des Dorfes fahren. So macht man Ortschaften kaputt und produziert Verkehr. Mit der Umfahrung besteht mittelfristig die Gefahr, dass das Ganze noch weiter ausfranst und hier entlang der Straße eine strukturlose Industrie-Handwerk-Handel-Dienstleistungs-Wohnungs-Masse in einem Meer von Parkplätzen entsteht. So viel zur vorbildlichen Raumordnung in unserem Land.

Obervintl, Sportplatz

Wie man 5 km Flussufer versaut und dafür sorgt, dass bald der ganze Talboden verlärmt und vollgebaut ist.
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Rienzufer zwischen Nieder- und Obervintl (2004). So sieht's hier leider nicht mehr lange aus.

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Sportplatz Obervintl (2.6.2004), die Menschen markieren die Breite der künftigen Straßentrasse.

Wie man 5 km Schnellstraße einem Flussufer entlang als „landschaftsschonend“ bezeichnen kann, bleibt ein Rätsel. Das Flussufer ist ruiniert, der Sportplatz muss verlegt werden, am Bahnübergang Richtung Getzenberg entsteht eine Überführung, die sich sicherlich ebenso wie die Schnellstraße harmonisch in die Landschaft einfügen wird. Diese neue Infrastruktur durch bisher unverbautes Gebiet wird zudem nicht ohne Folgen bleiben. Wo schon eine Straße ist, wird es auch interessant, anderes zu bauen. Allen Beteuerungen und vielleicht auch guten Absichten zum Trotz: Wo eine Straße hineingebaut wird, bleibt es auf Dauer nicht bei der Straße allein.

Obervintl

Wie man 700 Meter Dorf mit 5 1/2 km Schnellstraße umfährt und sich nicht schämt, das mit Worten wie „Sicherheit“ und „Lebensqualität“ zu begründen.
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Übersetzung: "Hier verbauen wir Ihr Geld und sorgen für noch mehr Verkehr."

Die effektiv zu entlastende Ortsdurchfahrt von Niedervintl misst ca. 400 Meter, jene von Obervintl ca. 300 Meter. Die Häusergruppen „Dörfl“ und „Karnergasse“ zu umfahren, ergibt keinen Sinn, da die (einzelnen) Häuser an der Straße ohnehin großteils ungenutzt sind und die Umfahrung die Belastung schlicht auf die andere Seite verlegt. Die bestehende Straße verschwindet zudem nicht, sie bleibt die Zufahrt für Obervintl.
Um nun also „Sicherheit und Lebensqualität“ zu sichern und nebenbei noch die Landschaft zu verschönern, sollen 5 1/2 km neue Rennstrecke gebaut werden. Das ist die bisher längste „Umfahrung“ im Pustertal. Wenn dieser Abschnitt gebaut wird, ist bereits ein Drittel der Straße zwischen Franzensfeste und der Staatsgrenze vollständig neu trassiert worden. Das sind die Fakten – nicht die Klagen darüber, dass „nie etwas weitergeht mit der Straße“ oder die Beteuerungen, dass man „auf keinen Fall eine Durchzugsstraße“ bauen will.

Eine ganze Reihe von Fehlentscheidungen mit irreparablen Folgen sind bereits getroffen worden. Die Entwicklungen der letzten Jahre und Jahrzehnte sollten eigentlich allen klar machen, dass diese Art der Verkehrspolitik, die in Wirklichkeit vor allem eine Baupolitik ohne Planung und ohne Bewertung der Folgen ist, in eine Sackgasse führt. Wann das endlich auch zu den letzten Entscheidungsträgern durchsickert, ist leider noch nicht abzusehen.

11.10.2008
Hanspeter Niederkofler

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